Hauptinhalt

Eingliederungshilfe für Schülerinnen und Schüler mit (drohender) wesentlicher Behinderung als Leistung zur Teilhabe an Bildung in Form einer Schulbegleitung

(A) Begriffsbestimmung

Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (§ 2 Abs.1 SGB IX).

Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten Menschen mit Behinderungen, die wesentlich an der gleichberechtigten, gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind (wesentliche Behinderung) oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind. Von einer wesentlichen Behinderung bedroht sind Menschen, bei denen der Eintritt einer wesentlichen Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Zuständiger Rehabilitationsträger von Leistungen der Eingliederungshilfe ist

  • für Kinder und Jugendliche, hier Schüler mit (drohender) seelischer Behinderung gemäß § 35a SGB VIII der Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendamt des Landkreises oder der Kreisfreien Stadt) als Rehabilitationsträger und
  • für Schülerinnen und Schüler mit (drohenden) wesentlichen körperlichen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen gemäß § 99 SGB IX der Träger der Eingliederungshilfe (Sozialamt des Landkreises oder der Kreisfreien Stadt) als Rehabilitationsträger.

Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen u. a. auch Leistungen zur Teilhabe an Bildung, insbesondere als Schulbegleitung/Schulassistenz. Besondere Aufgabe der Teilhabe an Bildung ist es, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung sowie berufs- und hochschulische Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen. Ziel ist die Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.

Über den Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe dem Grunde nach (Leistungs-berechtigung), das Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung der Teilhabe an Bildung sowie die Notwendigkeit (d. h. Erforderlichkeit und Geeignetheit) von Leistungen der Eingliederungshilfe entscheidet der allein zuständige Rehabilitationsträger nach Maßgabe der für ihn geltenden sozialgesetzlichen Vorschriften im Hilfe- bzw. Gesamtplanverfahren.

(B) Nachrang der Eingliederungshilfe

Der Erziehungs- und Bildungsauftrag liegt in der Verantwortung der Schule. Leistungen der Eingliederungshilfe sind nachrangig (§ 10 Absatz 1 SGB VIII sowie § 91, Absatz 2 SGB IX).

Die Abgrenzung der individuellen Leistungen zur Teilhabe an Bildung von pädagogischen Aufgaben im Kernbereich der Bildung ist im Einzelfall nicht immer trennscharf möglich. Aufgaben einer Lehrkraft gehören nicht zum Aufgabenfeld einer Schulbegleitung, bspw.:

  • Anpassung und Modifizierung von Lerninhalten
  • Wiederholung und Vertiefung von Lerninhalten

Eine Schulbegleiterin oder ein Schulbegleiter ist grundsätzlich der Schülerin bzw. dem Schüler mit wesentlicher Behinderung und nicht der Schülergruppe zugeordnet.  Sie oder er übernimmt sicherstellende unterstützende Maßnahmen und Tätigkeiten für die Schülerin bzw. den Schüler entsprechend des festgestellten Teilhabebedarfes. Daneben kann die in der Schule auf Grund der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung für mehrere leistungsberechtigte Schülerinnen und Schüler gemeinsam erbracht werden, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalls gewünscht, zumutbar und möglich ist, sog. Pooling (§ 112 Abs. 4 SGB IX). 

Mit dem Bundesteilhabegesetz wurde die Grundlage für strukturgebundene Schulbegleitung (Pool-Lösung) im Schulbegleitungssystem geschaffen. Das bedeutet, dass die bisherig vorgeschriebene 1:1-Zuordnung zwischen Schulbegleitung und leistungsberechtigtem Kind zugunsten einer flexibleren Einsetzbarkeit von Schulbegleitungen weichen kann: die Schulbegleitungen haben im Pool-Modell die Möglichkeit, mehreren Leistungsberechtigten ihre Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. Ein individualrechtlicher Anspruch auf Eingliederungshilfe bleibt dennoch beim Antragsteller.

(C) Erbringung von Leistungen zur Teilhabe an Bildung

Der zuständige Träger der Eingliederungshilfe schließt Leistungs- und Vergütungs-vereinbarungen mit den Erbringern von Leistungen zur Teilhabe an Bildung durch Betreuungs- und Fachkräfte (Schulbegleiterin/Schulbegleiter) ab. Die Beauftragung der Erbringung von Fachleistungsstunden erfolgt entsprechend des im Hilfe- bzw. Gesamtplanverfahren personenzentriert ermittelten Teilhabebedarfes der Schülerin bzw. des Schülers mit wesentlicher Behinderung.

(D) Schnittstelle sonderpädagogischen Förderbedarfs (SächsSchulG) zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung als Leistungen zur Teilhabe an Bildung (SGB VIII oder SGB IX)

Während des Verfahrens zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs

Sobald im Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs erkennbar ist, dass die weitere schulische Bildung einer Schülerin oder eines Schülers mit Behinderung mit schulrechtlich verankerten Gelingensbedingungen nicht sichergestellt werden kann und die Teilhabe an Bildung vermutlich beeinträchtigt ist, wird den Eltern empfohlen, sich mit dem zuständigen Rehabilitationsträger in Verbindung zu setzen und ein sozialgesetzliches Beratungsgespräch für eine Schulbegleitung zu vereinbaren. Die Eltern werden  auf die Zuständigkeit des Landkreises bzw. der Kreisfreien Stadt als Träger der Jugendhilfe bzw. Träger der Eingliederungshilfe für Leistungen zur Teilhabe an Bildung hingewiesen.

Es wird empfohlen, eine Vertreterin bzw. einen Vertreter des Rehabilitationsträgers in einem solchen Fall zum Förderausschuss einzuladen. Über die Teilnahme entscheidet der zuständige Rehabilitationsträger auf der Grundlage vorliegender Unterlagen.

Die Gründe für die Empfehlung einer Schulbegleitung müssen aus dem sonderpädagogischen Gutachten ableitbar sein. Unter Punkt 7 im Gutachten werden die sonderpädagogischen Gelingensbedingungen aufgeführt. Es muss deutlich werden, warum die Schülerin oder der Schüler Unterstützung benötigt, die über den Kernbereich der Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages an allgemein- und berufsbildenden Schulen bzw. der Leistungs-zuständigkeit der Schulaufsichtsbehörde hinausgeht.

Die Eltern sind im Förderausschuss nachweislich aufzuklären, dass

  • eine relevante Diagnose der Schülerin oder des Schülers auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) bzw. die Diagnostik eines Facharztes (körperliche, geistige, Sinnesbehinderung) oder eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder eines Kinder- und Jugendpsycho-therapeuten (seelische Behinderung) vorliegen muss bzw. zu veranlassen ist  (§35a Abs.1a SGB VIII)
  • die Beantragung von Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung beim zuständigen Rehabilitationsträger in Verantwortung der Eltern liegt und
  • die Entscheidung über einen Leistungsanspruch von Teilhabeleistungen dem alleinzuständigen Rehabilitationsträger obliegt.

Im Ergebnis des Förderausschusses bildet das förderpädagogische Gutachten den sonderpädagogischen Förderbedarf einer Schülerin oder eines Schülers ab und gibt Empfehlungen über die schulrechtlich verankerten Gelingensbedingungen, die im Kernbereich der Bildung an der zuständigen allgemeinbildenden Schule sicherzustellen sind. 

Handelt es sich bei dem Unterstützungsbedarf vorrangig um Leistungen der medizinischen Rehabilitation (Behandlungspflege/Krankenbeobachtung gemäß § 37 Absatz 2 SGB V), liegt dies in Zuständigkeit der Krankenkasse. Darauf sind die Eltern hinzuweisen.

Das förderpädagogische Gutachten wird im Hilfe- bzw. Gesamtplanverfahren des Rehabilitationsträger herangezogen.

Während der prozessbegleitenden sonderpädagogischen Förderung

Wird im Rahmen der Evaluation der prozessbegleitenden sonderpädagogischen Förderung erkennbar, dass die durchgeführten sonderpädagogischen Maßnahmen, die personellen Rahmenbedingungen der Schulaufsichtsbehörde sowie die Bereitstellung der räumlich und sächlichen Rahmenbedingungen durch den Schulträger nicht ausreichen, um die Teilhabe an Bildung zu gewährleisten, werden die Eltern auf die Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe an Bildung hingewiesen. Es wird ihnen empfohlen, sich mit dem zuständigen Rehabilitationsträger in Verbindung zu setzen und ein sozialgesetzliches Beratungsgespräch für eine Schulbegleitung zu vereinbaren.

Die Gründe hierfür müssen aus der Dokumentation der prozessbegleitenden Förderung (Entwicklungsbericht) erkennbar und ableitbar sei.

Im Fachverfahren DiguDuF stehen unter Vorlagen (optional) Dokumente für die fachliche Begründung der Empfehlung zur Prüfung einer Schulbegleitung aus Sicht des Mobilen sonderpädagogischen Dienstes oder als Ergebnis der prozessbegleitenden Förderung zu Verfügung.

(E) Hinweise zum Einsatz einer Schulbegleitung und zur Gestaltung der Zusammenarbeit an der Schule

Grundlegende Aspekte

Die Schulleitung hat grundsätzlich das Hausrecht, kann aber den individuellen Rechtsanspruch auf Eingliederungshilfe einer Schülerin bzw. eines Schülers nicht versagen.

In einem Erstgespräch mit allen Beteiligten werden Absprachen zur Zusammenarbeit zwischen Schule und Schulbegleitung getroffen.

Die Lehrkraft trägt gemäß § 40 Absatz 2 Satz 1 SächsSchulG die grundsätzliche Verantwortung für das pädagogische Geschehen.

Die Schulbegleiterin bzw. der Schulbegleiter hat über Angelegenheiten, die ihm während der Tätigkeit in der Schule bekannt werden, Verschwiegenheit zu bewahren.

Die Schulbegleiterin bzw. der Schulbegleiter ist kein Mitglied des Klassen- und Schulteams. Im Sinne einer kooperativen Zusammenarbeit empfiehlt es sich, die Schulbegleiterin bzw. den Schulbegleiter und dessen Funktion zu Beginn ihres bzw. seines Einsatzes offiziell im Kollegium vorzustellen sowie ihn im Verlauf des Schuljahres über organisatorische Angelegenheiten zu informieren.

Durch die Anwesenheit der Schulbegleiterin oder des Schulbegleiters kommt es zu einer Veränderung des sozialen Gefüges in der Klasse. Die Klassenlehrkraft stellt der Klasse die Schulbegleitung vor. Über die Teilhabeleistungen wird in Abstimmung mit den Eltern und ggf. mit der betroffenen Schülerin oder dem betroffenen Schüler informiert.

Gelingensbedingungen in der Zusammenarbeit

Geduld und kleine Schritte

Die Tätigkeit einer Schulbegleitung ist eine Gratwanderung zwischen Abwarten-Können und Eingreifen, was ein feines Gespür und eine gute Beobachtungsgabe erfordert. Aktionismus und vorschnelles Tun können eine kontraproduktive Wirkung haben. Die Schülerin oder der Schüler verlässt sich dann auf die »Versorgung« durch seine Schulbegleitung, was zu Passivität und Abhängigkeit führen kann.

Immer wieder muss hinterfragt werden, welche Intensität an Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen notwendig sind. Die Schulbegleitung muss das Verhalten bzw. die Lerntätigkeit sensibel beobachten und im richtigen Moment helfend zur Seite stehen. Dabei ist es ihre bzw. seine Aufgabe, alle Impulse in Richtung selbstständiger Durchführung aufzugreifen und zu unterstützen. Ist die Schülerin oder der Schüler dazu in der Lage, eigenständig zu handeln, nimmt sich die Schulbegleitung bewusst zurück.

Nähe und Abstand

Es ist fortlaufend abzuklären, wie eng eine Führung durch die Schulbegleiterin oder den Schulbegleiter sein muss oder sein soll. Handlungsleitend ist die Entwicklung von Selbstständigkeit. Diese kann von einer vollumfänglichen Präsenz der Schulbegleiterin oder des Schulbegleiters neben der Schülerin bzw. dem Schüler reichen bis hin zu einer beobachtenden Haltung gegenüber der Schülerin bzw. dem Schüler und einem situativen Eingreifen. Es ist sicherzustellen, dass die direkte Interaktion zwischen Lehrkraft und Schülerin bzw. Schüler nicht behindert wird.

Orientierung am Förderplan

Grundlage der Förderung ist der Förderplan der Schülerin oder des Schülers, der federführend durch die Klassenlehrkraft erstellt wird. In diesem sind die Förder- bzw. Lernziele festgelegt, auf die alle am Förderprozess Beteiligten zielgerichtet hinarbeiten. Dabei ist der Hilfe- bzw. Gesamtplan des jeweiligen Rehabilitationsträgers mit einzubeziehen. Die Schulbegleiterin bzw. der Schulbegleiter unterstützt im Rahmen ihrer/seiner Aufgaben die individuellen Förderziele.

Klarheit in der Aufgabenverteilung

Voraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit ist das Bewusstsein für den jeweiligen schul- oder sozialgesetzlichen Verantwortungsbereich und der sich daraus ergebenden Rolle. Offensichtliche Schnittstellen oder unklare Regelungen zwischen den Aufgaben der Lehrkräfte und der Schulbegleitung sind kritisch zu analysieren und im Interesse der Bildung und Teilhabe an Bildung der einzelnen Schülerin bzw. des einzelnen Schülers mit wesentlicher Behinderung gemeinsam zu beraten.

Kooperation und Kommunikation

Das Kollegium ist zu den individuellen Besonderheiten in Bezug auf den sonderpädagogischen Förderbedarf der Schülerin oder des Schülers, ggf. zur aktuellen Klassensituation sowie zu den Aufgaben der Schulbegleitung zu informieren.
Um einen Austausch zwischen Schule und Schulbegleitung sicherzustellen, sind bedarfsorientiert Beratungen notwendig.
Hauptansprechperson für die Eltern in Bezug auf die schulischen Belange des Kindes ist die jeweilige Lehrkraft. Ein regelmäßiger Austausch über die Entwicklung der Schülerin bzw. des Schülers ist hilfreich und ratsam. Die Einhaltung des Sozialdatenschutzes ist zudem in den vertraglichen Regelungen zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer geregelt.

zurück zum Seitenanfang